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Beitrag vom 25.11.2012
In ihrem Haus - Ein Film von Francois Ozon mit Kristin Scott Thomas. Ab 29. November 2012 im Kino
Martina Wittneben
Ein Schüler erschleicht sich das Vertrauen eines Mitschülers. In voyeuristischen Texten liefert er seinem Lehrer literarische Beobachtungen, die diesen immer mehr faszinieren bis ihm schließlich...
... die Kontrolle über die Ereignisse entgleitet.
Der Literaturlehrer Germain (Fabrice Luchini), Typ zerbeulte Cordhose und Hemd unter dem Strickpullover, kehrt nach den großen Ferien an das Lycée Gustave Flaubert und damit an den Hort des Durchschleusens immer austauschbarer und desinteressierter werdender SchülerInnen zurück. Während er sich den Sommer mit Schopenhauer-Lektüre versüßen konnte, blickt er nun leicht verwirrt und ein wenig lebensfremd hinter seiner Woody-Allen-Brille hervor und sagt Sätze wie "Wir machen uns Gedanken über das Unglück in der Welt, die wahren Barbaren sitzen in unseren Klassen." Die geistige Entrücktheit der Figur Germains, die sich in einer Mischung aus Unbeholfenheit und Überheblichkeit niederschlägt, scheint dabei wie maßgeschneidert für Luchini, einer der zurzeit gefragtesten Schauspieler Frankreichs.
Als Germain der Klasse die Aufgabe gibt, einen Essay über ihr vergangenes Wochenende zu schreiben, droht er bei der Korrektur abermals an den banalen Ergüssen seiner Schützlinge zu verzweifeln, bis er auf die Geschichte von Claude (Ernst Umhauer) stößt. Minutiös und bis ins intime Detail beschreibt der eher schüchterne Schüler aus der letzten Reihe, wie er sich mit seinem Mitschüler angefreundet hat, um dessen "ganz normale Familie" zu beobachten.
Fasziniert von dem literarischen Talent seines Schülers erliegt Germain nach anfänglichem Zögern dem androgynen Charme des intelligenten Jungen, ermutigt ihn, sich seinen ProtagonistInnen stärker zu nähern und die Geschichte spannender zu gestalten. In einer Mischung aus beinahe verliebter Bewunderung und Lust am Korrigieren versorgt Germain Claude mit Literatur und dramaturgischen Tipps. Claudes Stimme aus dem Off lässt die ZuschauerInnen derweil gleich Hitchcocks "Fenster zum Hof" den filmisch in Szene gesetzten Fortsetzungen seiner Erzählung beiwohnen.
Germains Frau Jeanne (Kristin Scott Thomas), die eine Galerie moderner Kunst betreibt (von ihrem Mann als "Kunst für Bescheuerte" bezeichnet) wird zur einzigen Mitwisserin dieser Erzählung. Schnell erkennt sie, dass der Junge ihn manipuliert. Dennoch gerät auch Jeanne immer mehr in den Bann von Claudes Geschichte. Zu sehr verfließt der Blick Claudes auf das Leben in dem Haus seines Freundes mit ihrem eigenen, scheint der Geruch, die Stimme und der Körper "der Frauen der Mittelschicht" auf unheimliche Art auch sie zu meinen.
Die britische Schauspielerin Kristin Scott Thomas versteht es grandios, die beherrschte Strenge und kühle Eleganz von Jeanne zugleich mit der Aura einer domestizierten Leidenschaft zu umgeben. Und ebenso wie Germain immer tiefer in den gefährlichen Sog von Claudes Phantasien gerät, kommt es auch bei ihr zur schleichenden Erosion ihrer wohligen bürgerlichen Stabilität.
Wunderbar präzise spielt der 22-jährige Ernst Umhauer die unterschwellige Bedrohung, die sein leises Lächeln zunehmend beunruhigender werden lassen und die ZuschauerInnen gleichzeitig zu eingeweihten Vertrauten machen.
Geschickt wirbelt Filmemacher Ozon die Perspektive von ErzählerIn und Erzähltem durcheinander und durchzieht seine Filmgeschichte ironisch mit Zitaten der Weltliteratur, insbesondere des französischen Romanciers Gustave Flaubert, nach dem nicht zufällig die Schule Germains benannt ist. So erinnert die frustrierte Mutter des Mitschülers, die nach Höherem strebt an "Madame Bovary" oder Claude selbst an die "Erziehung der Gefühle", die er gewissermaßen selbst durchlebt.
Ozons Lust an dramaturgischer Übertreibung lässt ihn dabei einige Szenen bis zur Groteske überspitzen und den Film insgesamt auch als Parodie auf die Macht der Manipulation erscheinen. Einmal lässt er Germain und Jeanne ins Kino gehen und beendet die Einstellung mit einem Zoom in den Scheinwerfer des Projektors, was die Vermutung nahe legt, dass das "Haus" auch eine Metapher sein könnte. Eine Metapher für die Werkstatt des Filmemachers als Brutstätte der Geschichten, die das Leben und die Phantasie auf die Leinwand schreiben. Dass er in dem beobachteten Haus acht Puppen auftauchen lässt und damit seinen eigenen Film "8 Frauen" zitiert, unterstreicht diesen selbstironischen Aspekt des Films.
Francois Ozon lässt auch nach dem dramatischen Finale offen, was von der Geschichte Claudes imaginiert und was real ist oder ob gar alles nur der Phantasie eines frustrierten Literaturlehrers entspringt. "In ihrem Haus" ist ein virtuoses Spiel mit der Phantasie und letztendlich auch eines, das der Regisseur mit den ZuschauerInnen treibt. Der Spannung, die diesen temporeichen und in vielen Momenten auch sehr komischen Film trägt, tut das keinen Abbruch. Nur eine Gewissheit steht am Ende, die letztendlich der Nährboden für alle Geschichten ist: "Irgendeinen Türöffner gibt es immer, um in das Haus einzutreten."
Zu den HauptdarstellerInnen:
Fabrice Luchini wurde 1951 in Paris geboren und zählt zu den wichtigsten französischen Theater- und Filmschauspielern. Er arbeitete bereits 2010 mit Francois Ozon zusammen als er in "Das Schmuckstück"(Potiche) neben Catherine Deneuve und Gérard Dépardieu einen tyrannischen Fabrikbesitzer spielte.
Kristin Scott Thomas wurde 1960 in Redruth, Cornwall geboren. 1996 wurde sie für ihre Rolle in "Der englische Patient" mit dem Oscar nominiert und spielte danach Hauptrollen in Filmen, wie "Der Pferdeflüsterer" oder "So viele Jahre liebe ich Dich". Für letzteren gewann sie 2008 den Europäischen Filmpreis als Beste Darstellerin und war zudem für den Golden Globe Award nominiert.
Zum Regisseur und Drehbuchautor: Francois Ozon wurde 1967 in Paris geboren. Er war sowohl mit Komödien, wie "Das Schmuckstück" (2010) und "8 Frauen" (2002), als auch mit tiefgründigen Charakterstudien wie "Unter dem Sand" erfolgreich. Für "In ihrem Haus" (Originaltitel: "Dans la Maison")wurde er beim Internationalen Filmfestival in Toronto mit dem FIPRESCI-Preis der internationalen Filmkritiker- und Filmjournalistenvereinigung ausgezeichnet. Beim Internationalen Filmfestival in San Sebastián erhielt "In ihrem Haus" den Hauptpreis der Goldenen Muschel für den besten Film und wurde gleichzeitig für das beste Drehbuch ausgezeichnet.
AVIVA-Tipp: Dieser wie ein Thriller anmutende Film mit komödiantischen bis teilweise grotesken Zügen lässt die ZuschauerInnen ein virtuoses Spiegelkabinett der Phantasie mit brillanten DarstellerInnen betreten. "In ihrem Haus" ist eine gelungene Hommage an die Welt der Imagination und ein wahres Feuerwerk an überraschenden Wendungen, das bis zum Schluss in Atem hält.
In ihrem Haus
Originaltitel: Dans la maison
Frankreich, 2012
Regie: François Ozon
Drehbuch: François Ozon nach dem Stück von Juan Mayorga
DarstellerInnen: Fabrice Luchini, Ernst Umhauer, Kristin Scott Thomas, Emmanuelle Seigner, Bastien Ughetto, Denis Ménochet, Yolande Moreau.
Laufzeit: 105 Minuten
FSK: 12 Jahre
Verleih: Concorde
Kinostart: 29. November 2012
www.inihremhaus-derfilm.de
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